Es fing damit an, dass sie die Buchstaben auf dem Monitor nicht mehr richtig erkennen konnte. Der Text, an dem sie arbeitete, verschwamm in immer kürzeren Abständen vor ihren Augen und ließ sie innerhalb von nur wenigen Stunden mit blutunterlaufenen Augen und starken Kopfschmerzen kapitulieren. Der Augenarzt hatte ihr eine höhere Dioptrenstärke verordnet, so dass sie jetzt fast Panzergläser trug und auch entsprechend aussah.
Alles nur Nebenwirkungen, hatte ihr Prof. Dr. Schelli, der großartige Anthropologe und Genforscher lächelnd erklärt. Sie hatte es geglaubt. Doch dann begannen die anderen Beschwerden. An einem regnerischen Novembertag stellte sie fest, dass ihre Finger nicht mehr so schnell über die Tasten huschten, wie sie das bisher gewohnt war. Sie krümmten sich nur widerwillig und mehrmals musste sie bereits geschriebene Passagen korrigieren. Nervös rieb sie die kalten, steifen Hände aneinander, als ob das den Prozess unterbinden könnte.
Am nächsten Morgen, als sie vor der Arbeit noch schnell zu ihrem Hausarzt hastete, weil sie in der Nacht immer wieder von rasenden Herzschmerzen erwacht war, knickte sie plötzlich um und fühlte einen stechenden Schmerz in ihrem rechten Knie. Na klasse, dachte sie im Weiterlaufen noch, dann habe ich ja wenigstens richtig Anlass für einen Arztbesuch. Der Hausarzt verschrieb ihr homöopathische Beruhigungsmittel für ihr Gemüt (alles nur zuviel Stress) und rheumatische Salben für ihr Knie.
Ein gutes hat diese ganze Sache ja, dachte sie Abends, während sie vor dem Badezimmerspiegel stand und sich die Nachtcreme pfundweise ins Gesicht schmierte (ihre Haut war in letzter Zeit immer so rissig und trocken); ich habe schon seit Monaten keine Regelschmerzen mehr. Genaugenommen konnte sie sich überhaupt nicht mehr richtig daran erinnern, wann sie das letzte Mal ihre Tage gehabt hatte. Es war so angenehm gewesen.
Doch die negativen Symptome überwogen bei weitem und ihr Misstrauen wuchs von Tag zu Tag. Mühsam, und von Schmerzen geplagt, machte sie sich wieder auf zu Prof. Dr. Schelli und erzählte ihm umständlich von ihren Beschwerden. Es müsse doch jetzt langsam Schluss sein damit, und der Umkehrprozess müsse einsetzen....Die Verjüngung, auf die sie nun schon seit beinahe einem dreiviertel Jahr wartete. Herrje, wenn der Mann doch nur deutlicher sprechen wollte, er war ja kaum zu verstehen. Doch in dem Rauschen, das in ihrem Kopf lauter und lauter wurde, hörte sie nur immer wieder ein Wort: Selektion.....Selektion...
Schweißgebadet wachte sie aus diesem Albtraum auf und torkelte noch Schlaftrunken in das Badezimmer. Es war der Morgen ihres 30. Geburtstages, ein neuer Lebensabschnitt sollte beginnen, so wollte es der Volksmund. Mit den Gedanken bei der bevorstehenden Geburtstagsfeier setzte sie sich aufs Klo, stellte fest, dass sie nicht pinkeln musste und trat achselzuckend an das Waschbecken. Sie drehte den Heißwasserhahn auf und hob den Blick. Aus dem Spiegel starrten ihr milchigbraune, blutunterlaufene Augen aus einem von zahllosen Falten zerknitterten Gesicht entgegen, das von wenigen, grauen Haarsträhnen umrahmt war. Ein lautloser Schrei rang sich aus ihrem Mund, sie griff sich ans Herz. Noch im Fallen registrierte sie, dass ihr Mund zahnlos gewesen war.